Fläcker - die Geschichte einer Kartoffel
Spät abends klopfte es an unserer Haustüre. Klar und
kräftig.
Eine alte Frau, die neben uns wohnte, stand vor der Tür, in schwarzen
Kleidern und zwischen den knochigen Fingern hielt sie etwas Knolliges.
Ich dachte sie brauche meine Hilfe. Doch sie sagte nur: "Ich will dir
etwas geben", und legte diese erdverkrustete Knolle in meine Hand: "A
Fläcker".
So nannten die Ausserberger den "Härpfil" mit den typisch weinroten
Flecken auf der hellen Schale, den sie während Jahrzehnten in den kargen
Äckern pflanzten und ernteten.
Die Frau erzählte mir, dass sie diese Knolle auf der Alpe Leiggern in
einem Kartoffelacker gefunden hätte. Obwohl diese Kartoffelsorte schon
lange nicht mehr angebaut, von den neuen Sorten verdrängt, konnte sie
in diesem Acker irgendwie überleben.
Ich sah auf diese Knolle in meiner Hand, war fasziniert von den roten Flecken
auf der weissen Schale, sah in die wässrigen Augen der Frau, und wusste,
das ist ein Vermächtnis. Ich fühlte mich irgendwie verantwortlich
dieses Geschenk zu hüten.
Das war vor fast dreissig Jahren.
In den folgenden Jahren pflanzten wir diese Kartoffelsorte an und ernteten
auch gute Erträge.
Die Arbeit auf unserem Hof nahm stetig zu, wir waren überlastet und die
Gesundheit pflegte in manchen Zeiten auf Distanz zu gehen.
In dieser Zeit erzählte uns ein Freund, er würde gerne einige Knollen
dieser Kartoffelsorte an seinen Heimatort nehmen. Dort gebe es eine Stelle,
welche sich mit alten Kartoffelsorten befasse.
Das Rad der Zeit drehte sich weiter, uns blieb wenig Zeit, uns um Fläcker
und „andri Härpfla“ zu kümmern.
Die alte Frau ist schon lange tot und der „Fläcker“ vergessen.
Doch vor einer Woche erhielten wir einen Brief von einem uns bekannten Journalisten,
der über ein Jubiläum der Fachstelle für Kartoffelanbau berichtete.
Zu seinem eigenen Erstaunen fand er unter den vielen Sorten auch den „Fläcker“,
von Ausserberg, der von unserem Freund vor langer Zeit dort abgegeben wurde.
Umgehend telefonierte ich mit dieser Fachstelle und erzählte ihnen die
Geschichte von der alten Frau und ihrer Knolle.
Sie werden uns einige “Fläcker“ zusenden, damit wir sie wieder
pflanzen, ernten und geniessen können.
Ich bin froh darum, denn so kann ich mein Versprechen gegenüber der alten
Frau einhalten.
Manchmal kehrt die Zeit zurück - und mit ihr auch eine Kartoffel.
Orlando
alle Bilder dieser Seite: © Michaela Zeiter 2008
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